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Ein unerwarteter Fund in der sogenannten Interimssammlung des Münzkabinetts vom 3. März 2023 hat neue Ansatzpunkte zur Identifizierung der in Kapitel 2.1 genannten Personen geliefert. Hier widergegeben ist der der offiziellen Mitteilung des Münzkabinetts vom 21.3.2023 an die Generaldirektion der SMB beigefügte Bericht von K. Dahmen. Es sei als weitere Information erwähnt, dass die Sammlung des Münzkabinetts insgesamt rund 11.000 Münzladen umfasst:
Zitat:
Nachtrag zur Erwerbung 1942 Schneidemühl (Acc. 1942/78–91 und 1942/108–189)1
Dr. Karsten Dahmen, Münzkabinett, SMB, email: k.dahmen(at)smb.spk-berlin.de
Am Freitag, den 3. März 2023, wurde durch mich der Bereich der sogenannten Interimssammlung Mittelalter/Moderne im Zuge einer Recherche zur einer Provenienzanfrage einer möglichen Erwerbung aus dem Jahre 1953 durchgesehen.
Bei der Interimssammlung handelt es sich um inventarisierte und uninventarisierte Zugänge in den Bestand des Münzkabinetts, die nach der Entführung der Stammsammlung durch die Rote Armee in die Sowjetunion 1945/46 und vor deren Rückgabe im Jahre 1958 getätigt wurden. Diese Münzen und Medaillen sind teilweise mit Herkunftsnachweise/Notizzetteln versehen, häufig fehlt aber eine Dokumentation der Provenienz.
Im Zuge dieser Durchsicht bin ich auf die Lade 78/034 gestoßen (Abb. 1). Diese enthielt eine Anzahl undokumentierter Münzen und Medaillen ohne direkt unterliegende Kartellen, eine ohne aufliegende Münze ‚leere‘ Kartelle mit der Erwerbungsnummer Acc. 1943/22 sowie unten rechts aufgestapelt eine Handvoll Kartellen eines privaten Vorbesitzers, von denen einige den blauen Namenstempel „Fritz Normann“ bzw. „Fritz Normann Schneidemühl Neuer Markt 22“ tragen. Hinzu kommen zwei Händlertickets des bekannten, 1944 in Auschwitz ermordeten Berliner Münzhändlers Felix Schlessinger3, von denen beide Kartellen sich auf zwei dokumentierte Münzen Normanns beziehen. Letzterer hat also mindestens zwei seiner Münzen zuvor bei Schlessinger erworben.4
Zum Verständnis sei vorausgeschickt, dass seinerzeit 1942 eine Sendung mit Münzen zur Auswahl durch das Münzkabinett von Schneidemühl aus nach Berlin gesendet wurde. Hierzu existiert unseres Wissens kein Verzeichnis. Einzelne Münzen können nur identifiziert werden, wenn sie in die durch das Münzkabinett inventarisierte Auswahl unter der oben angegebenen Erwerbungsnummer aufgenommen und erfasst wurden.
Es konnte bisher kein nicht im Erwerbungsbuch erfasstes Objekt als aus der Sammlung Normann bzw. als aus Schneidemühl stammend identifiziert werden. Dies ist nicht überraschend, denn es liegt bekanntermaßen ein Schreiben des Bürgermeisters der Stadt Schneidemühl vom 7. September 1942 vor, in welchem dem Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin (also dem Vorgänger des Bode-Museums) die Rücksendung der Münzen nach erfolgter Auswahl bestätigt wird.5
Dokumentation der Münztickets (Kartellen) mit Bezug zu 1942 Schneidemühl:
Durch Auswertung der auf den Kartellen vermerkten Informationen sowie im Abgleich der Liste Acc. 1942/78–91 und 1942/108–189 konnten folgende Erkenntnisse gewonnen werden:
- nur eine Münze aus Lade 78/034 (Objektnummer 18302120, Bieberer Ausbeutetaler Landgraf Wilhelm IX. von Hessen, 1785) konnte durch Abgleich mit der Erwerbungsliste Schneidemühl als Acc. 1942/115 neu identifiziert werden. Diese war bisher als vermisst gekennzeichnet gewesen. Diese Information ist jetzt zu korrigieren. Zur Münze gehört ein Münzticket des Münzhändler Felix Schlessinger. Es ist kein zugehöriges eigenes Ticket des Vorbesitzers Normann vorhanden. Die Münze wurde jetzt entsprechend dokumentiert und im mk-edit erfasst. Damit sind jetzt 71 (zuvor 70) der fraglichen 100 Objekte im Bestand nachgewiesen.
- ein Ticket des Vorbesitzers Fritz Normann bezieht sich auf die bereits als Acc. 1942/119 (dort sind insg. 5 Objekte verzeichnet) dokumentiere und in der Stammsammlung vorhandene münzähnliche Privatmedaille auf Wilhelm II. zu „4 Mark“ von 1904 (Objektnummer 18265735).
- eine zeitgenössische Kartelle des Münzkabinetts mit der Acc. 1942/133 trägt die Aufschrift „fehlt“. Diese Münze (Taler Utrecht 1784) aus dem Besitz Normanns fehlt auch heute im Bestand und ist als fehlend schon dokumentiert worden.
- ebenfalls ein bereits dokumentierter Verlust ist die Acc. 1942/149 (Medaille Salzburger Emigranten), auf die sich eine namentlich nicht gekennzeichnete Kartelle mitsamt entsprechender Objektansprache bezieht, die dasselbe Format wie die Kartellen Normanns hat
- unter Acc. 1942/117 als Besitz Normanns nachgewiesen und in der Stammsammlung vorhanden ist ein sächsischer Doppeltaler von 1858 (Objektnummer 18265459), für den eine Kartelle des Händlers Felix Schlessinger (zum Preise von M[ark] 10) vorliegt.
- dito vorhanden Acc. 1942/112 = Objektnummer 18264711. Bayerischer Taler Karl Theodor, 1781, für den eine Namenskartelle Fritz Normann vorliegt. Rückseite hat passende Münzbeschreibung.
- dito vorhanden Acc. 1942/184 = Objektnummer 18264670 (Frankreich, 40 Francs 1834. Hat Vorbesitzerkartelle Normann mit passender Münzbeschreibung.
- dito vorhanden Acc. 1942/122 = Objektnummer 18265695 (Taler Hannover 1846). Hat Vorbesitzerkartelle Normann mit passender Münzbeschreibung.
- dito vorhanden Acc. 1942/131 = Objektnummer 18265586 (1/2 Taler Ungarn 1783). Hat Vorbesitzerkartelle Typ Normann im passenden Format (ohne ausdrückliche Namenskennzeichnung) mit passender Münzbeschreibung.
Abb. 1:
Abb. 2-3
Ich habe daraufhin am selben Tage (3.3.2023) Frau Dr. Angela Berthold über diesen Fund informiert und ihr die vorhandenen Informationen zu den Personen durchgegeben. Für Ihre Ergebnisse siehe die von ihr erstellte Dokumentation zu den Familien Samuelsohn/Normann.
Zudem habe ich ebenfalls per email (siehe die Email-Korrespondenz im Anhang) Herrn Peter Simonstein Cullman in Kanada kontaktiert. Herr Cullman ist der Autor u.a. der Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Schneidemühl6 und mir bereits von früheren Recherchen vertraut. Herr Cullman ist selbst ein Überlebender der antijüdischen Maßnahmen von 1940 in Schneidemühl.
Herr Cullman hat mir per email am Dienstagabend, den 7.3.2023, die Ergebnisse seiner Recherchen zu den fraglichen Personengruppen Samuelsohn und Normann zukommen lassen, welche ich an Frau Bertold weitergeleitet sowie ihm für seine Hilfe gedankt habe (jeweils am 9.3.2023).
Die Personen Samuelsohn/Normann konnten anhand dieser Informationen in ihrer familiären Beziehung identifiziert werden (Stammbäume aus Archiv Peter S. Cullman). Auch wurde erkannt, daß aufgrund der offenbar erst lange nach der Konversion zum Evangelischen Glauben erfolgten Namensänderung von 1911 die Familiennamen Samuelsohn und Normann dieselben Personen bezeichnen. Zudem ist deutlich geworden, daß es sich anders als zuvor von mir vermutet, nicht um zwei getrennte Sammlungen, sondern um eine einzelne, eben jene des Fritz Normann (gest. 1936) handelt, die seine Schwestern (beide gestorben 1941) zuletzt vor ihrer Enteignung in Besitz hatten.
Für weitere Erkenntnisse u.a. den jetzt identifizierten Wiedergutmachungsantrag von 1963 siehe die Dokumentation durch Angela Berthold.
Ich möchte ausdrücklich die wichtige und freundliche Hilfe von Herrn Cullman hervorheben und vorschlagen, dass ihm von Seiten der SMB Dank für seine Unterstützung in der Recherche ausgesprochen wird.
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1:
Photographie der Lade im Schrank 78/034 mit Aufsicht auf die darin befindlichen Münzen, Medaillen und Münzzettel. Die beiden unteren Reihen sind nach Durchsicht der Stücke und Abgleich mit der Erwerbungsliste Acc. 1942/78–91 und 1942/108–189 geordnet und die Lade neu mit identifizierenden zusätzlichen Kartelle in hellgrau mit Aufschriften zur Erwerbung 1942 Schneidemühl versehen worden.
Abb. 2-3:
Ansicht der Münztickets Vorgang Schneidemühl mitsamt Verweisen auf die jeweilige Nummer in der Liste Acc. 1942 und den Objektstatus. Vorder- und Rückseite der Kartellen Normann und Schlessinger.
Anhang:
Korrespondenz K. Dahmen – Peter S. Cullman
Siehe pdf-Datei im email Anhang
[Verweise: im Original nicht End-, sondern Fußnoten]
1 Siehe die frühere Dokumentation online unter https://ikmk.smb.museum/eMuseum?lang=de&exhibition_id=3 sowie textgleich in der Geschichte des Münzkabinetts, Das Kabinett 17 (2020). Hierin Karsten Dahmen, Von Weimar zur Diktatur. Das Direktorat Kurt Reglings (1921 bis 1935) und Arthur Suhles kommissarische Leitung (bis 1945) 111-112.
2 Eine bronzierte Eisenmedaille auf die Eroberung von Sewastopol durch die Deutsche Wehrmacht am 1.7.1942, überwiesen durch die Staatsmünze an das Münzkabinett im Jahre 1943, und heute im Bestand unter Objektnummer 18257366. Diese Kartelle wurde mittlerweile der Lade 78/034 entnommen und bei der Medaille an deren Liegeort 68/085/ abgelegt.
3 Zu diesem siehe https://ikmk.smb.museum/ndp/person/6382. Seit 1928 in Berlin tätig und 1936 in die Niederlande emigriert.
4 Da keine Auktions- und Lot-Nrn. genannt sind, wohl als im Ladengeschäft in Berlin-Charlottenburg gekaufte Ware zu identifizieren.
5 https://ikmk.smb.museum/eMuseum?lang=de&exhibition_id=7
6 Peter Simonstein Cullman, History of the Jewish Community Schneidemühl: 1641 to the Holocaust (2006).