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Text aus der neuen Kabinettsgeschichte des Münzkabinetts. Das Kabinett 17 (2020). Hier Auszug aus dem Kapitel Von Weimar zur Diktatur. Das Direktorat Kurt Reglings (1921 bis 1935) und Arthur Suhles kommissarische Leitung (bis 1945) 111-112 von Karsten Dahmen

Jüdische Zwangsenteignung in Schneidemühl

In den Kontext der Provenienzrecherche gehört die Frage nach möglichen unrechtmäßigen Erwerbungen seitens des Münzkabinetts zwischen 1933 und 1945. Hierzu erging bereits am 14. März 1992 seitens des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Aufforderung, entsprechende Bestände zu melden. Als Antwort darauf hat das Münzkabinett nach Auswertung seiner Erwerbungsbücher23 am 3. Juni 1992 dem Generaldirektor einen solchen Vorgang gemeldet:

Unter den Erwerbungsnummern 1942/78–91 und 1942/108–189 ist eine Überweisung von der »Regierung in Schneidemühl aus jüdischen Besitz« vermerkt (14 antike und 86 neuzeitliche Münzen und Medaillen, meist des 19. Jhs., siehe hier die revidierte Stückliste im Anhang).24 Dieser Vorgang wurde dem Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen (BARoV) am 4. April 2006 seitens der Stiftung mitgeteilt. Am 7. Juni 2006 wurde der Jewish Claims Conference (JCC) das Angebot unterbreitet, diesen Münzbestand durch Kauf zu erwerben.25 Da einerseits keine Angaben zu den früheren Besitzern vorliegen, andererseits die Jewish Claims Conference auf mehrere Anfragen des BARoV in den Jahren 2008 und 2010 nicht reagierte, wurde mit Brief des BARoV vom 21.07.2010 festgestellt, dass eine Rückgabe bzw. hilfsweise finanzielle Entschädigung abzulehnen sei.

Hinter dieser nüchternen Korrespondenz verbirgt sich das traurige Schicksal der Mitglieder der jüdischen Gemeinde in der seit 1772 (mit kurzer Ausnahme 1807 bis 1815) zu Preußen gehörigen, sich also auf Reichsgebiet befindlichen Stadt Schneidemühl (heute Piła in der Woiwodschaft Großpolen).26 Die verbliebene jüdische Bevölkerung wurde bereits 1940 verhaftet, enteignet und auf verschiedene Lager, Waisenhäuser und Hospitäler verteilt, die Überlebenden später in Konzentrationslager transportiert.27

Die Durchsicht bisher nicht erschlossenen Archivmaterials im Münzkabinett brachte in Vorbereitung auf diese Publikation hierzu neue Erkenntnisse. So fanden sich Teile eines Briefwechsels zwischen dem namentlich nicht genannten Bürgermeister der Stadt Schneidemühl, dem Regierungspräsidenten des Regierungsbezirks Posen-Westpreußen und dem Münzkabinett aus dem Jahr 1942: In einem Brief vom 4. Mai 1942 bietet der Regierungspräsident an, aus dem Bestand der für ein lokales Heimatmuseum vorgesehenen Münzen kostenfrei jene auszuwählen, die die Museen zu übernehmen beabsichtigen. Offenbar wurden die Münzen dazu nach Berlin gesandt und, nach entsprechender Auswahl, der verbliebene Teil nach Schneidemühl zurückgeschickt.

Anm.:

23 Die Sammlung wurde bereits ab August 1942 aus dem Tresor entfernt und eingelagert. Das Erwerbungsbuch bricht mit der Acc. 1943/114 ab, d. h. nach diesem Vorgang sind keine Eingänge in die Sammlung bis zum Jahr 1946/49 zu verzeichnen.
24 Von den antiken Münzen waren 1992 sämtliche im Bestand nachzuweisen, von den neuzeitlichen fehlten seinerzeit 35 Stücke (so die Meldung an die Generaldirektion mit Bestandsliste am 22. März 2006: Acc. 1942/115. 119. 127–129. 133. 143. 149–151. 154–156. 159. 168. 170–177. 180–182. 185–189). Sie wurden möglicherweise bereits ab 1942 als abzugebende Doubletten separiert und heute nicht mehr nachweisbar abgegeben bzw. sind Kriegsverluste. Da zeitgleich die Sammlung in das Pergamonmuseum kriegsverlagert wurde, ist es möglich, dass diese Erwerbung nicht mehr vollständig regulär in den Bestand eingelegt wurde. Siehe hier den Anhang. Sämtliche noch vorhandenen Münzen sind online im IKMK publiziert.
25 Die JCC hatte ihrerseits nach entsprechender Mitteilung am 28.6.1993 die aus Schneidemühl stammenden Münzen im Rahmen des Gesetzes zur Klärung offener Vermögensfragen angemeldet.
26 Simonstein Cullman 2006, 133–173. In den 1920er Jahren umfasste die Gemeinde rund 625 Mitglieder.
27 So wurden 160 jüdische Bürger jeden Alters und Geschlechts im Februar 1940 in Schneidemühl verhaftet sowie weitere 384 in den umgebenen Gemeinden. Es hat offensichtlich nur neun Überlebende gegeben. Vgl. auch http://www.geocities.ws/schneidemuehl_pila/deportations.html (abgerufen am 23.7.2018).

Literatur: Simonstein Cullmann 2006 = Peter Simonstein Cullmann, History of the Jewish Community Schneidemühl: 1641 to the Holocaust (2006).